„Eigentlich bezeichne ich mich lieber als Strukturpolitiker“ sagt Uwe Kekeritz (Bundestagsabgeordneter und entwicklungspolitischer Sprecher von Bündnis90/Die Grünen) vor Schülerinnen und Schülern des EMG während seines Besuchs am 15.11.2018. Anlass ist die Verleihung des Bayerischen EineWelt Preises im Juli 2018, die den Politiker dazu veranlasste, nicht nur zu gratulieren, sondern auch die Schule näher kennenzulernen zu wollen, die sich mit ihrem Förderverein für partnerschaftliche Entwicklungszusammenarbeit engagiert.
Vortrag und Diskussion mit der Oberstufe
Aufmerksam folgten die Schülerinnen und Schüler der Oberstufenkurse Geografie (Q12) den Ausführungen von Uwe Kekeritz, der nicht nur durch seine unkomplizierte und sympathische Art, sondern vor allem durch seine Authentizität und persönliche Lebenserfahrung die Jugendlichen für das Thema interessieren konnte: die historische Entwicklung und Grundzüge der deutschen Entwicklungspolitik, Beispiele für kritische Faktoren und Fehlentwicklungen, Zusammenhänge mit der Wirtschafts- und Umweltpolitik sowie die Rolle der Frau.
Anschaulich erzählt Uwe Kekeritz z.B. von Ibrahim aus Burkina Faso, dessen kleine Landwirtschaft mit eigenen Kühen durch Milchpulver, das aus der EU importiert wird, um den subventionierten „Milchberg“ abzubauen, ruiniert wurde; in diesem Zusammenhang wird klar, dass eigentlich unsere „reichen“ Länder des globalen Nordens ebenfalls „Entwicklungsländer“ sind; er berichtet aber auch von seinem zweijäh-rigen Aufenthalt in Kamerun, als der Möbeltransport nur durch Schmiergeld gesichert werden konnte; dabei sieht er in der Digitalisierung eine große Chance, der Korruption entgegenzuwirken, da durch bargeldlosen Transfer Transparenz ermöglicht wird. „Korruption,“ sagt Kekeritz, „ist wie ein Krebsgeschwür, das nur mit radikalen Mitteln bekämpft werden kann.“
Mit solchen Metaphern, aber auch mit jeder Menge fundiertem Faktenwissen und Zahlenmaterial gelingt es dem Politiker auch in der anschließenden Diskussionrunde den Schülerinnen und Schülern überzeugend Rede und Antwort zu stehen. Dabei interessierten sich die Jugendlichen für den beruflichen Alltag des Abgeordneten („Ich lebe vom Lobbyismus – die Lobbyisten, die zu mir kommen, z.B. von Amnesty International, kommen allerdings nicht aus Eigennutz im Sinne eines wirtschaftlichen Vorteils“) genauso wie für deutsche Waffenexporte, globale Steuerpolitik, die weltweite Bevölkerungsentwicklung und Ernährungssicherheit. Uwe Kekeritz verweist eindringlich auf die Chance der SDGs (Sustainable Development Goals ), die – von der UN verabschiedet – den Rahmen für verantwortungsvolles und nachhaltiges Handeln bilden und Mut machen sollen: „Wir können gestalten!“ – davon ist der 65-Jährige überzeugt und erinnert an die „Vorreiter“-Rolle Deutschlands im Zusammenhang mit der „Weltrevolution“ der EEG (Gesetz für erneuerbare Energien), das von 40 Ländern übernommen wurde und die Abschaffung der Atomkraft eingeläutet hat. „Es gibt keinen Grund zum Fatalismus!“ ermuntert der Politiker die Jugendlichen und fordert sie auf, Verantwortung zu übernehmen und nachhaltig zu handeln. „Aber wie?“ Auf diese Schülerfrage antwortet Kekeritz ganz klar: „Fairer Handel ist angesagt – also Augen auf beim Einkauf!“ Die weltweite Ungerechtigkeit ist menschengemacht, kann also auch von Menschen (positiv) verändert werden. Dazu braucht es einen Strukturwandel und den entsprechenden verbindlichen Rahmen durch global gültige Gesetze und Standards, für die sich der Politiker einsetzt: „Die Politik darf sich nicht hinter dem Konsumenten verstecken!“
Globale Gerechtigkeit und globale Partnerschaft
In der nächsten Gesprächsrunde trifft Uwe Kekeritz mit Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufe 7-10 zusammen, die sich als „Umweltscouts“ und/oder als Teilnehmende des Wahlkurses SchuPa Tansania für nachhaltige Lebensweise am EMG einsetzen. So halten Maja und Sofie aus der 9. Klasse, beide ausgebildete „Botschafterinnen für globale Gerechtigkeit“, einen inhaltlich und rhetorisch überzeu-genden Vortrag zum Thema „Ökologischer Fußabdruck“. Sonja und Paul demonstrieren eine „tansanische“ Begrüßung und Anja, Maxi und Nils berichten von der geplanten Begegnungsreise im August 2019 und den Projekten, die gemeinsam an der Partnerschule Ilembula Secondary durchgeführt werden sollen.
Uwe Kekeritz zeigt sich beeindruckt vom vielfältigen Engagement und beantwortet gerne die interessierten Fragen der Jugendlichen.
Ausstellung und Diskussionsrunde im Rathaus Haar
Nach einer kurzen Verschnaufpause geht es dann gleich weiter mit dem Thema „Globale Gesundheit“:
Im Haarer Rathaus eröffnet Bürgermeisterin Gabriele Müller die Ausstellung des Deutschen Medikamenten-Hilfswerks „action medeor“ e.V., das sich für die Umsetzung des dritten Entwicklungsziels der Vereinten Nationen „Gesundheit und Wohlergehen“ als globale Aufgabe einsetzt.
Der Vorstandssprecher Bernd Pastors betont in der anschließenden Podiumsdiskus-sion, dass es das erklärte Ziel des Vereins sei, „Entwicklungshilfe“ eines Tages über-flüssig zu machen. Deshalb setze „action medeor“ neben der konkreten Medikamenten- und Katastrophenhilfe vor allem auf die Umsetzung von Projekten, die die Strukturen nachhaltig verändern, wie z.B. pharmazeutische Fachberatung, Ausbildung vor Ort und Schaffung von Arbeitsplätzen, einen Technologie-Transfer, der die Produktivität und Wertschöpfung im eigenen Land ermöglicht. Im Anschluss betont Uwe Kekeritz den systemischen Zusammenhang von Infrastruktur, Ernährung und Bildung und ist überzeugt, dass das „Modell“ EMG Nachahmer finden wird, um der jungen Generation die Komplexität der Thematik vor Augen zu führen und sie zum Handeln zu bewegen. So bestätigt auch Edwin Busl, der als Vorsitzender von SchuPa Tansania e.V. und Mitarbeiter der Schulleitung (u.a. mit dem Aufgabenbereich „Bildung für nachhaltige Entwick-lung“), die Notwendigkeit in der Schule Werte wie Solidarität und Empathie zu vermitteln und damit eine „Saat“ gegen die Verblendungen und fatalen Fehlentwicklungen unserer Mainstream-Gesellschaft zu säen. Dabei komme es im Bereich von Bildung und Erziehung beson-ders auf die Vorbildfunktion an. In diesem Zusammenhang spiele das Kennenlernen anderer Kulturräume eine wichtige Rolle, da hier das Gemeinschaftliche erkannt und eingeübt werden kann – ganz im Sinne der Definition von „Gesundheit“ durch die WHO (World Health Organization): „körperliches, psychisches und soziales Wohlbefinden“.
Peter Lauffer, der als Vorstandsmitglied von HA-ILE e.V. die vielfältigen Aktivitäten und Projekte des Vereins (ehemaliger AK EineWelt der Jesuskirche Haar) in Ilembula/Tansania vorstellt, schildert u.a. die schwierige (finanzielle) Situation des örtlichen Krankenhauses und wird dabei von Jochen Döring (Vorsitzender HA-ILE e.V.) mit der Bitte unterstützt, ein geeignetes deutsches Krankenhaus für eine Partnerschaft zu finden. Der Moderator der Veranstaltung, Dr. Alexander Fonari (Vorsitzender des EineWelt-Netzwerks Bayern), nimmt diesen Redebei-trag geschickt auf und bindet vor allem auch die anwesenden Jugendlichen aus der 10. Jahrgangsstufe des EMG immer wieder mit in die Gesprächsrunde ein; er ermuntert sie zu politischem Engagement (z.B. Teilnahme in der Steuerungsgruppe „Haar wird Fair-Trade-Gemein-de“) und macht deutlich, wie wichtig die Bereitschaft zu selbstverantwortetem Handeln ist. Der „Blick über den Tellerrand“ sei dabei unumgänglich – dies bestätigt auch Reginald Temu (Vorsitzender des Vereins „Deutsch-Tansanischer Freundeskreis“), der als Zuhörer von Dr. Fonari nach seiner „Entwicklungspolitik“ gefragt wird. Das Teilen sei besonders wertvoll; so seien Reisen in den globalen Süden „weg von Muttis Herd“ gerade für Jugendliche eine Chance, langfristiges Engagement zu ermöglichen. So könne die Welt etwas sicherer werden!
Der “entwicklungspolitische Tag” wird abgerundet
Gegen 13 Uhr geht der „Tag mit Uwe Kekeritz“ zu Ende; für die beiden Vorsitzenden von SchuPa Tansania e.V., Edwin und Christl Busl, findet er noch eine interessante abendliche Fortsetzung: Im Museum Fünf Kontinente diskutieren Prof.Dr. Robert Kappel (Uni Leipzig und GIGA Hamburg) und Dr. Boniface Mabanza Bambu (KASA Heidelberg) über Europa, China und die wirtschaftliche Entwicklung Afrikas: „Kolonialzeit reloaded?“ Das Thema des Tages „SchuPa im Kontext der deutschen Entwicklungspolitik“ findet damit eine wissenschaftliche Ergänzung und Abrundung, die für die beiden SchuPa Teilnehmenden die Bedeutung und Notwendigkeit des Globalen Lernens (nicht nur im schulischen Kontext) wieder einmal eindrucksvoll belegt.
PRESSEECHO (Gemeinde Haar – Aktuelles, 19.11.2018)
PRESSEECHO (Münchner Merkur, 20.11.2018)